CLAIM im Blick: Nicht in meinem Namen! (AWO)

CLAIM im Blick: Nicht in meinem Namen! (AWO)

9. Juli 2019

„Nicht in meinem Namen! Gemeinsam gegen Diskriminierung, antimuslimischen Rassismus und den Missbrauch von Religion“, hat zum Ziel ein gesellschaftliches Bewusstsein für Islamfeindlichkeit zu schaffen, Differenzierungen aufzuzeigen sowie Vorurteilen entgegenzuarbeiten. Im Interview mit CLAIM spricht die Projektleiterin Hanna Attar über die fehlende Sichtbarkeit des Problems und über das motivierende Engagement vieler junger Musliminnen und Muslime in Solingen.

Wer steckt hinter dem Projekt und wie ist es entstanden?

„Nicht in meinem Namen! Gemeinsam gegen Diskriminierung, antimuslimischen Rassismus und den Missbrauch von Religion“, nimmt vor allem Islamfeindlichkeit in den Blick. Gefördert wird das Projekt vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Unser Projekt hat zum Ziel, ein gesellschaftliches Bewusstsein für Islamfeindlichkeit zu schaffen, Differenzierungen aufzuzeigen sowie Vorurteilen entgegenzuarbeiten.

Ein Schwerpunkt des Projektes ist es Jugendlichen Gehör zu verschaffen, ihnen Raum für Fragen zu geben und Handlungsmöglichkeiten gegen Diskriminierung aufzuzeigen. Muslimische und nicht-muslimische Jugendliche sowie Erwachsene (Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen etc.) sind bei uns willkommen, um sich über Diskriminierungen auszutauschen, Eigeninitiative im Bereich der Demokratie- und Toleranzförderung zu ergreifen oder um einfach mehr über den Islam zu erfahren. Durch Kunst und Kultur wird auch die breite Öffentlichkeit angesprochen in Form von Plakataktionen, Theaterauftritten o.ä. Außerdem bieten wir eine Antidiskriminierungsberatung an, um junge Menschen dabei zu unterstützen gegen ihre Erfahrungen vorzugehen.

Hinter dem Projekt „Nicht in meinem Namen“ steht die AWO Arbeit & Qualifizierung gGmbH, genauer gesagt die Außenstelle „JUMP IN“ (Jugend- und Migrationsprojekte in der Nordstadt). Wir bieten unterschiedliche Projekte für junge Menschen aus sozial schwachen Verhältnissen und mit oder ohne Migrationshintergrund an. Unsere Projekte fördern das soziale Engagement, Vielfalts- und Demokratiedenken. Also auch das Wir-Gefühl bzw. den Zusammenhalt und die antirassistische Arbeit. Wir wollen die Jugendlichen darin bestärken, sich als festen Bestandteil unserer Gesellschaft zu sehen und sich in diese einzubringen.

In Workshops besprecht ihr mit den Jugendlichen Handlungsmöglichkeiten gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Was ratet ihr den Jugendlichen?

In der Regel erarbeiten wir mit den Jugendlichen Konzepte oder Möglichkeiten gegen Islamfeindlichkeit. Dies kann oder findet meistens in praktischen Teilen statt, z.B. in Form von Musik, Texten oder unserer Theater AG. Die Theater AG lebt von Erfahrungen der Jugendlichen. Eine Szene handelte beispielsweise von der „leichten Schulter“, d.h. die Darstellerin sollte lernen ihre Erfahrungen, Diskriminierungen, bösen Blicke etc. auf die leichte Schulter und mit Humor zu nehmen. Darüber hinaus raten wir den Jugendlichen immer über ihre Erfahrungen zu sprechen und die Antidiskriminierungsberatung in Anspruch zu nehmen. Wichtig ist natürlich auch ihnen immer zu zeigen, dass sie etwas verändern können, wenn sie aktiv werden und sich in die Gesellschaft einbringen. Wir empowern sie diese Schritte gemeinsam mit uns zu tun.

Welche Idee steckt hinter dem Film „Mein Name ist Hatice- Muslimisches Leben in Solingen“?

Die Idee hinter dem Film ist es die Vielfalt und auch die Normalität muslimischen Lebens zu zeigen. Das klingt natürlich erstmal total absurd: wir wollen zeigen, dass Muslime ganz normale Menschen sind. Leider haben Muslim*innen in der Realität jedoch häufig mit Stereotypen und Anfeindungen zu kämpfen. Durch die immer wiederkehrenden Diskussionen über das Kopftuch, Islam als Teil der Gesellschaft usw. wird ein Bild des „Wir“ auf der einen Seite und „die Anderen“ auf der anderen aufgebaut. Muslime werden selten in ganz normalen Kontexten gezeigt. Dieses Konstrukt versuchen wir mit dem Film aufzulockern. Die junge Solingerin, Hatice, führt die Zuschauer*innen an verschiedene Orte muslimischen Lebens in Solingen und befragt unterschiedliche Muslime zu ihrem Leben und den Herausforderungen vor Ort. Mit dem Film möchten wir im Rahmen von Veranstaltungen oder in Workshops die Vielfalt und die Normalität von hier lebenden Muslimen sichtbar machen. Auch wenn der Film nur einen Bruchteil zeigt, gibt er sicherlich einen Einblick ist das Leben – vor allem von jungen Muslimen*innen.

Und wo kann man den Film sehen?

Wir zeigen den Film gerne auf Anfrage in Einrichtungen, Schulen etc., und erhoffen uns, danach ins Gespräch mit dem Publikum zu kommen. Im Laufe des Jahres wird der Film aber auch für jeden und jede öffentlich im Internet zugänglich sein.

Es ist wichtig den Jugendlichen zu zeigen, dass sie etwas verändern können.
Hanna Attar, "Nicht in meinem Namen!" (AWO)

Beim rassistisch motivierten Brandanschlag 1993 auf ein Haus in Solingen kamen fünf Menschen ums Leben. Wie hat sich die Stadt seitdem verändert?

Da ich selbst eine „immigrierte“ Solingerin bin, kann ich nicht so viel zum Vor- und Nachher sagen Außerdem war ich noch recht klein, als dieses schreckliche Ereignis passierte. Ich kann aber meine Eindrücke schildern, seitdem ich hier lebe (seit 2015). Denn anders als ich es aus anderen Städten kannte, bin ich beeindruckt von den Netzwerken und dem Bewusstsein für das Thema Rassismus in Solingen. Es gibt viele und gut organisierte Netzwerke in Solingen, die sich gegen Rechts einsetzen und durch Feste oder Aktionen auf dieses Thema aufmerksam machen. Beeindruckt bin auch von den jungen Menschen hier wie z.B. dem Jugendstadtrat, der jedes Jahr einen Sternmarsch am Gedenktag des Brandschlages organisiert. Natürlich darf ich meine Jugendlichen (aus dem Projekt) nicht vergessen, die für mich am Tollsten sind, weil sie so viel Mut und Einsatz zeigen, um Rassismus und Islamfeindlichkeit zu bekämpfen und in der Gesellschaft dafür zu sensibilisieren.

Welchen Beitrag kann Vernetzung im Umgang mit antimuslimischem Rassismus leisten?

Vernetzung kann erstmal stärken. Sie stärkt den fachlichen Austausch und die Erfahrungen. Viele erleben sicherlich Ähnliches, aber es gibt immer unterschiedliche Wege mit Situationen oder Problemen umzugehen. Außerdem kann man als Netzwerk eine starke Stimme werden, die mehr (mediale) Aufmerksamkeit gewinnen kann und somit erstmal auf Unstimmigkeiten in unserer Gesellschaft oder auf antimuslimischen Rassismus aufmerksam machen kann. Und das ist das Wichtige. Meiner Meinung nach wird der antimuslimische Rassismus oftmals noch nicht erkannt, vieles läuft unter dem Deckmantel der ‚Islamkritik‘. Dabei wird übersehen, dass wir uns oft schon im Bereich von Rassismus bewegen. Daher bin ich ein ziemlich großer Fan von Netzwerken. Nur gemeinsam sind wir stark!

Das Interview mit Hanna Attar wurde geführt von Theresa Singer für CLAIM.